Jan Loffeld meint: Immer mehr Menschen interessieren sich nicht für religiöse Fragen – und die Kirche kann daran nichts ändern. Zahlen aus Österreich belegen jedoch, dass der christliche Glaube implodiert, nicht aber Religiosität und Transzendenzbezug. Und diese Krise ist auch selbstverschuldet.

Die Krise des christlichen Glaubens ist auch in Österreich viel tiefer, als viele kirchliche Verantwortliche bisher dachten. Ich sehe dies an den erstarrten Gesichtern, wenn ich seit drei Monaten die Ergebnisse der Studie "Was glaubt Österreich?" (WGÖ) in Pfarren und kirchlichen Einrichtungen präsentiere.

Diese interdisziplinäre Mixed-Methods-Studie haben Astrid Mattes-Zippenfenig, Patrick Rohs und ich 2023-2024 in Kooperation mit dem ORF/Abteilung Religion & Ethik an der Universität Wien in zwei Phasen durchgeführt. In einer qualitativen Online-Studie erzählten uns zunächst 1661 Personen von ihren Sinn-, Glaubens- und Wertvorstellungen. Neben klassischen religionssoziologischen Fragen der Europäischen Wertestudie (EVS) sowie Befunden aus dem gleichnamigen multimedialen ORF-Projekt "Was glaubt Österreich?" bildeten diese Narrationen die Grundlage für den Fragebogen einer quantitativen Studie, die repräsentativ für Personen zwischen 14 und 75 Jahren mit Wohnsitz in Österreich ist. Der Bericht wird im April online publiziert.

Traditionell kirchlich-religiöses Selbstverständnis am Tiefpunkt

Auch in Österreich haben ein traditionell kirchlich-religiöses Selbstverständnis und der Glaube an Gott oder eine göttliche Wirklichkeit einen Tiefpunkt erreicht. So stimmten in der EVS 1990 noch 80 Prozent einem religiösen Selbstverständnis zu. 2008 und 2018 verstanden sich circa zwei Drittel als religiöse Menschen. In der Covid-19-Sonderedition der EVS 2022 lag diese Zahl nur mehr bei 52 Prozent. Anders als in der WGÖ-Studie 2024 stand allerdings in der EVS die Option, sich alternativ oder ergänzend ebenfalls als spirituell zu bezeichnen, nicht zur Verfügung. In der WGÖ-Studie verstanden sich nun 27 Prozent der Befragten als religiös und 24 Prozent als spirituell. 29 Prozent bezeichneten sich weder als religiös noch als spirituell. 11 Prozent verstehen sich sowohl als religiös als auch als spirituell. Und mit 19 bzw. 27 Prozent ist sich ein nennenswerter Anteil nicht sicher, ob er religiös oder spirituell ist. Die Befragten differenzieren also zwischen den Begriffen – und dies vermutlich schon länger. Die Implosion des christlichen Glaubens ist nicht mit einem Totalverlust von Religiosität gleichbedeutend. Nur ein knappes Drittel lehnt beide Selbstverständnisse ab. Bemerkenswert ist auch, dass es mit 29 Prozent mehr Frauen sind, die sich selbst als spirituell bezeichnen (Männer: 19 Prozent).

Nicht der Transzendenzbezug als solcher implodiert, wohl aber die Zustimmung zum Begriff "Gott".

Deutlich wird der Einbruch eines christlichen Glaubens am Inhalt der Transzendenzvorstellungen. Nur 22 Prozent stimmen der Aussage zu, dass es "einen Gott oder eine göttliche Wirklichkeit" gibt. 36 Prozent sind überzeugt, dass es "ein höheres Wesen, eine höhere Energie oder geistige Macht" gibt. 22 Prozent glauben "weder an Gott noch an irgendeine andere höhere Wirklichkeit". 15 Prozent "wissen nicht richtig, was sie glauben sollen". Wiederum sind es die Frauen, die mit 40 Prozent signifikant häufiger dem Glauben an eine höhere Wirklichkeit zustimmen. Nicht der Transzendenzbezug als solcher implodiert, wohl aber die Zustimmung zum Begriff "Gott".

Um die Vorstellungen über die Transzendenz differenzierter zu erheben, haben wir Aussagen aus der qualitativen Studie übernommen, auch hier waren Mehrfachnennungen möglich. Für 14 Prozent in der Gruppe der Transzendenzgläubigen und Unsicheren ist diese Transzendenz ein "persönlicher Gott, mit dem ich sprechen und zu dem ich ‚Du‘ sagen kann". 17 Prozent verstehen die Transzendenz als "universale Energie, Macht, Kraft, die alles durchströmt – wie Luft, ein Hauch o.ä.". Für 23 Prozent ist die Transzendenz eine "unbegreifliche Wirklichkeit, die man letztlich nicht beschreiben kann". 10 Prozent verstehen die Transzendenz als "menschliche Idee oder Vorstellung". Für 12 Prozent ist die Transzendenz eine "kosmische Kraft, die die Welt verbindet, ordnet oder heilt" und für 10 Prozent "das Wertvollste, der innerste Kern im Menschen". 11 Prozent stimmen der Aussage zu, dass diese Transzendenz "unendliche Liebe" sei. Personen, die sich als christlich bezeichneten, erhielten überdies die Option, dass Gott "ein Gott (ist), der sich in Jesus Christus offenbart hat": Dieser Aussage stimmten allerdings nur 11 Prozent zu. Von jenen, die "nicht richtig wissen, woran sie glauben sollen", sind 56 Prozent der Ansicht, dass man "über Gott oder eine höhere Wirklichkeit letztlich gar nichts aussagen kann". In dieser Gruppe geben überdies 56 Prozent zumindest teilweise an, dass sie "gerne an einen Gott oder eine höhere Wirklichkeit glauben" würden. 40 Prozent der bezüglich einer Transzendenz unsicheren Befragten stimmen außerdem der Aussage zu, dass sie selbst zwar nicht an Gott oder eine höhere Wirklichkeit glauben, es für die Gesellschaft jedoch gut sei, "dass manche Menschen an Gott glauben".

Was fehlt, ist die Zustimmung zu einem personalen und christologisch gefassten Transzendenzverständnis.

Dieser kleine Einblick zeigt, dass der Befund Jan Loffelds, dass "nichts fehlt, wo Gott fehlt" für Österreich zu schlicht und pauschal ist. Was fehlt, ist die Zustimmung zu einem personalen und christologisch gefassten Transzendenzverständnis. Diesen Befund aus kirchlicher Sicht nicht als dramatisch zu erkennen, wäre allerdings tatsächlich "Realitäts-Verweigerung" (Detlef Pollack).

Die "Plausibilitätsstrukturen" schwinden

Irritierend ist für mich dennoch der Schreck, der angesichts dieser Befunde derzeit auch in Österreich vielen kirchlichen Verantwortlichen in die Glieder fährt. Denn diese Entwicklungen zeichneten sich in den religionssoziologischen Studien (insbesondere von Paul M. Zulehner) schon länger ab. Der kontinuierlichen Erosion kirchlicher Praxis und Zugehörigkeit folgt nun als nächster Schritt der Einbruch eines christlichen Gottesverständnisses. Der Soziologe Peter L. Berger hat schon 1969 mit seiner These von den "Plausbilitätsstrukturen" belegt, dass Werte, Normen und Glaube durch sozial glaubwürdige Andere, Praxis und Institutionen abgestützt sein müssen, um lebendig zu bleiben. Fallen letztere weg, bleiben erstere, etwa der Glaube an Gott, noch eine Zeit im kulturellen Gedächtnis erhalten, erodieren aber am Ende ebenso.

Haben die zweifellos engagierten Seelsorgerinnen und Seelsorger ernsthaft geglaubt, dass der christliche Glaube in Österreich die unzähligen Skandale und Krisen der katholischen Kirche, deren schneckenartiges Reformtempo – vor allem mit Blick auf Frauen – oder die gesellschaftlichen Konflikte um Religion unbeschadet überlebt? Hans Joachim Sander hat in seinen Überlegungen zu den theologischen Folgen des sexuellen Missbrauchs angemahnt, dass es auch innerhalb von Kirche und Theologie ansteht, "anders und nicht trotzdem" glauben zu lernen. Zitieren möchte ich auch eine gläubige Katholikin: "Ich habe es satt, mir immer nur von Männern erklären zu lassen, wer und wie Gott ist."

Detlef Pollack fordert eine fundierte Analyse der gesellschaftlichen Ursachen der Situation ein. Dies ist unabdingbar. Vier Jahrzehnte "kulturelle Hegemonie des (neoliberalen) Kapitalismus" (Rainer Bucher) haben auch den christlichen Glauben privatisiert und eine Gesellschaft entbetteter und singularisierter Individuen hinterlassen. Unsere WGÖ-Studie dokumentiert so auch eine veritable Krise intermediärer Gemeinschaften – wobei religiöse und kirchliche Organisationen im Ranking von Vereinen und Organisationen mit 13 Prozent aktiv Engagierten im Jahr 2023 sogar den zweiten Platz einnehmen. Dass man diesen Entwicklungen ohnmächtig gegenüberstehen soll, erschließt sich mir freilich nur dann, wenn die Kirche(n) sich zu bereitwillig diesen Dynamiken ergeben haben. Nicht unterschätzen darf man auch die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie. Nicht wenige haben in dieser Zeit – mit Loffeld paraphrasiert – bemerkt, dass "nichts fehlt, wo Kirchgang fehlt". 

Selbstverschuldete "Liquidierung" des Glaubens

Was wir sehen, ist daher eine zu einem wesentlichen Teil auch selbstverschuldete "Liquidierung" des christlichen Glaubens. Das Vertrauen in die Kirche liegt in Österreich schon länger bei unter 30 Prozent; eine Kirche, die mit ihren internen Skandalen und Machtkonflikten das eigene Zeugnis konterkariert, trägt wesentlich zur Auslöschung desselben bei. Die engagierten Gläubigen zahlen dafür den Preis. Für eine solche Interpretation sprechen unsere Befunde zur Rolle von Religion in Gesellschaft und Staat. Österreich ist religionsfreundlich gegenüber privater Religiosität und religionskritisch gegenüber ihrer öffentlichen Rolle. Nur 20 Prozent stimmen der Aussage zu, dass moderne Gesellschaften religionslos sein sollen. 81 Prozent sind zumindest teilweise der Ansicht, dass Religion Menschen Halt und Orientierung biete. Nur 18 Prozent lehnen die hilfreiche Funktion von religiösen Ritualen ab. 64 Prozent halten Religion für den sozialen Zusammenhalt zumindest teilweise für wichtig. Aber 44 Prozent halten Religion auch für ein Mittel der Machtausübung. Dass der Religion im persönlichen Leben dennoch mit Indifferenz begegnet wird, darf dabei aber nicht ignoriert werden. Als Maßstab für moralische Urteile ziehen nur 10Prozent der Befragten die Religion heran. Unterschiede zeigen sich nur bei den Themen Abtreibung und aktive Sterbehilfe – religiöse Menschen in Österreich lehnen dies häufiger ab.

Es wäre naiv, diese indifferente und liquide Religiosität christlich zu "taufen". Aber der christliche Glaube selbst verpflichtet zum Ringen um das Verständnis, warum so viele einem ansprechbaren Gott und selbst Christen der Christologie entfremdet gegenüberstehen, und zur Suche nach Anknüpfungspunkten.

Eine Realitätsverweigerung wäre es freilich auch, diesen differenzierten Befund nicht theologisch zu deuten. Weder Daten noch soziologische Deutungen können belegen, ob die Befragten jenen Glauben haben, den Karl Rahner "heilsnotwendig" genannt hat.

Es wäre nun naiv, die indifferente und liquide Religiosität christlich zu "taufen". Aber der christliche Glaube selbst verpflichtet zum Ringen um das Verständnis, warum so viele einem ansprechbaren Gott und selbst Christen der Christologie entfremdet gegenüberstehen, und zur Suche nach Anknüpfungspunkten.

Warum die Annahme, dass man Gott auch heute noch in diesem Feld suchen kann, von Pollack als "theologische Immunisierung" bzw. "Verteidigungsstrategie" abqualifiziert wird, verstehe ich nicht – denn diese "veraltete Großeinsicht" ist biblisches Zeugnis; allein schon aufgrund des Gottesnamens JHWH (Ex 6.2-3), der auf transzendente Präsenz verweist, und der Erfahrung, dass Gott in jedem Menschen repräsentiert wird (Gen 1,27). Die Unsicheren, die Spirituellen, jene, die Gott als unbegreiflich bezeichnen, selbst jene 37 Prozent, die an ein Schicksal glauben, dass es gut mit ihnen meint, haben von dieser Präsenz auf diffuse Weise sichtlich mehr Ahnung als jene Theologen, die offenbar genau wissen, dass Gott fehlt, – auch wenn sich die Menschen scharenweise von einer christlichen Deutung verabschieden. Religiosität in Österreich ist "liquidiert" – flüssig, fluide, diffus; aber nicht verschwunden.

Ich denke da zum Beispiel an Affinitäten der heilenden kosmischen Energie zur christlichen Pneumatologie oder die Nähe der "unbegreiflichen Wirklichkeit" zum unauslotbaren Geheimnis Gottes. Freilich wird man neben den Anknüpfungspunkten auch die Unterschiede des christlichen Kerygmas zukünftig verstärkt einspielen müssen, und dies wird nur in dialogischen Lern- und Begegnungsprozessen geschehen können, wie sie Loffeld vorschlägt. Dies setzt jedoch ein "Personal" voraus, das auch jene Fragen und Erfahrungen glaubwürdig und intellektuell redlich benennen kann, auf die der Glaube und die Theologie – zum Beispiel mit dem Christus-Glauben – Antwort geben. Weiters ein Personal, das das christliche Kerygma im Licht der zeitgenössischen Kultur übersetzen kann. Es gibt also tatsächlich einen theologischen Lernbedarf, denn in einer mit sich selbst beschäftigten Kirche fehlen diese Kompetenzen nicht selten. Der Glaube gilt als selbstverständlich und selbst-erklärend, gesucht wird meistens nur nach moderneren Verpackungen.

Bei all den Debatten habe ich manchmal den Eindruck, dass in der Theologie nicht wenige davon ausgehen, dass wir selbst mit unseren Formeln Gott bereits kennen, während die Menschen gott-los seien, weil sie diesen Formeln nicht zustimmen wollen. Die Verantwortung liegt bei den anderen und im Außen, nie bei uns selbst.

Es braucht weiter kirchliche Selbstkritik

Wenn ich also in der Selbstkritik des innerkirchlichen Glaubens und einer theologisch fundierten Glaubensvertiefung eine zentrale Konsequenz sehe, ist das keine bösartige hidden message, sondern gut biblisch bezeugte explizite (Selbst-)Kritik. Es war immer die lernbereite Selbstkritik des Volkes Gottes, das diesem Zukunft geschenkt hat: teschuwa (Reue), metanoia (Umkehr) und missio ad intra. Diese Kritik ist nicht frustrierend, sondern heilend. Frustrieren kann höchstens der Verlust des hegemonialen Deutemonopols, den die Kirche schon länger zur Kenntnis hätte nehmen können.

Zu fragen wäre also: Begegnen die Menschen der christlichen Gottes- und Christusrede vielleicht auch deshalb indifferent, weil wir nicht benennen können, welche auch heute relevanten Fragen und Erfahrungen dieser Rede zugrunde liegen? Können wir unsere Theologouma so spannend und anschlussfähig an das konkrete Leben in Wort und Tat übersetzen, dass die Indifferenz aus ihrem Dämmerschlaf erwacht? Und stellen wir genügend Fragen? Ohne diese innere Reform – auf die übrigens auch Papst Franziskus im Synodalen Prozess setzt – werden Strukturreformen und Optimierungsstrategien tatsächlich erfolglos bleiben.

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